Perspektiven auf den Autor
„Wozu denn die Blumen? Sammelte ich Blumen, um Sie auf mein Unglück zu legen? fragte ich mich, und der Strauss fiel mir aus der Hand. Ich hatte mich erhoben, um nach Hause zu gehen, denn es war schon spät und alles war dunkel.“ Elfriede Jelinek nennt es die Poetik des Verdämmerns, in deren Vollzug sich das Bewusstsein zu verselbstständigen beginnt, indem es sich den unbewussten Mechanismen der Schrift öffnet: Ein Zustand also zwischen Ich und Sprache, wenn mit einem Male unvermittelt die Kontrolle über die Sprache – ihr Beherrscht-Werden – aussetzt, und sie selbst an Stelle eines Ichs zu sprechen beginnt.
Christoph Schmassmann
Robert Walser hat es – nicht nur – in diesem Punkt zur Meisterschaft gebracht und es beginnt natürlich zu interessieren, was nun tatsächlich damit gemeint ist. Gut, so viel ist klar und schon im Vornherein geklärt: die modernen Konzepte der Autorschaft decken sich in dem einen Punkt, dass gerade seine Autorität stärker denn je in Frage gestellt wird. So gesehen spricht gerade nicht ein wie auch immer geartetes Ich die Sprache, sondern wird umgekehrt von ihr gesprochen – wird Durchgangsstation und zur unbewussten Bühne eines Ereignisses der Schrift. Der Autor verschwindet unter diesem Gesichtspunkt hinter dem Text oder löst sich in diesen auf, da er selbst als unbewusster Akteur auf der Bühne der Schrift seine Massgabe einbüsst.
Ich-Auflösung
Wie ist das nun genau zu verstehen? Es gilt sich zunächst zu vergegenwärtigen, dass es ein Sprechen und auch jegliches begriffliches Denken ausserhalb der Sprache nicht gibt. Und so bedeutet Schreiben denn auch letztlich ein Sich-Öffnen, indem man den der Sprache eigenen logischen Gesetzmässigkeiten Platz macht, die mir in ihrer Form aber letztlich niemals entsprechen können. Die Sprache entwickelt so gesehen ihr eigenes Regelwerk, dass letztlich nicht Fassbares einfängt, indem es dieses in Form einer Spur ersetzt. Und so gibt Walser also diesem letztlich nicht greifbaren Bezugssystem Raum, lässt es ein, um über die Ebene einer Auflösung des Ich an den Punkt zu gelangen, wo nur noch die Sprache selber handelt, zu strömen beginnt und in Fluss kommt. Sie wird so zu seinem letzten Bezugspunkt und exklusiven Refugium seines Selbst. – Nebenbei erscheint so auch ganz allgemein gerade der Umstand, dass wir „ich“ zu uns sagen können, mit einem Male ein lediglich grammatikalisches Phänomen und die Adaption dieser grammatischen Finte auf die konkrete je individuelle Lebenswelt ist die erste und oberste Täuschung des Seins. Indem wir unser Selbst in seiner ganzen schillernden Vielfalt unter einen uns gängigen Begriff des Ichs subsumieren, können wir uns selbst letztlich niemals oder nur dem Schein nach gerecht werden. Klar, so gesehen erstaunt es nicht weiter, gerade in uns selbst das grösste aller Mysterien vorzufinden – die zentralste aller Frage des menschlichen Lebens: was sagt letztlich „ich“ in mir?
Die Beziehung zwischen Ich und Welt
So gilt es im Zusammenhang mit der Vorstellung eines festen Ichs als einer zentralen Leitkategorie moderner westlicher Gesellschaften ein wenig auszuholen, um mit dieser schliesslich endgültig aufzuräumen. Es stellt sich in der gegenseitigen Vernetzung und Bestimmung von Ich und Welt immer auch die Frage nach dem Sinn. In der Literatur wird dieser in vielfältigen Bezügen von Ich und Welt bzw. von Ich und Sprache sowie von Sprache und Welt entwickelt, und ist immer eng mit der Frage verknüpft, in welchem Verhältnis sich das Subjekt zur Welt setzt – inwiefern es ihr im Prozess der Versprachlichung einen Sinn abgewinnen kann. Doch das moderne Subjekt löst sich nun zusehends, nach und nach und immer mehr gerade aus einheitlichen religiösen, traditionellen und familiären Bindungen oder – um es in Sinne Lyotards und dem Konzept der Postmoderne zu formulieren – aus in sich konsistenten oder konzisen Metaerzählungen. Nur über solche ihm übergestülpten Bezugssysteme und Parameter kann es sich aber letztlich als einheitliches konstituieren bzw. konstruieren. Fallen diese weg, muss es sich nach anderen Mustern oder Vorgaben entwickeln – in einer Welt, die für den einzelnen immer undurchschaubarer wird, heisst dies letztlich Patchwork oder die Verabschiedung eines souveränen Subjekts. Das ist als die kulturelle Prägung zu verstehen und zu umreissen, die uns bis tief in unser Unbewusstes bestimmt – uns so quasi beschreibt und die Formen vorgibt, nach deren Massgabe wir unser Ich entfalten. Doch wo sind diese letztlich nun auszumachen? In der Auseinandersetzung und Konfrontation mit den sich ihm anbeitenden Bezugssystemen stellt das Ich den Kontakt zu sich selbst her. Dadurch entfaltet sich ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential, denn diese kulturellen Muster kommen ihm nicht per se zu, sondern zwingen sich ihm auf. Gerade in der heutigen Lebenswelt stellt das letztlich die Crux einer jeden Identitätsfindung dar. Und so erstaunt es dann auch nicht weiter, dass gerade bei Walser dieses Ich zu seiner eigenen Entzugserscheinung stilisiert wird. Es erweist sich als amorph und vielgestaltig, in einem Zuge sich verselbstständigend und doch im Sich-Zeigen sich stets entziehend, aber gerade in diesem Entzug sich artikulierend und in Erscheinung tretend.
Mobiles – Kaleidoskope – Prismen
Dies läuft, da von einem Subjekt als Einheit oder Zentrum der Identität nicht mehr gesprochen werden kann, schlussendlich auf eine künstlerische Inszenierung des Selbst hinaus. Das heisst dann natürlich, dass gerade das Ich keinen wissenschaftlichen oder rationalen Gesetzmässigkeiten wie Kohärenz, Einheit und Eindeutigkeit mehr unterliegt. Es befreit sich davon und beginnt sich in der Form des künstlerischen Akts zu verselbstständigen, um sich seiner selbst wieder Gewissheit zu verschaffen. Zwar gewinnt es sich in diesem Akt zurück, wird sich seiner bewusst im Moment des ästhetischen, konkret erschaffenden Aktes. Doch das liegt nur als expressive Schicht über dem eigentlichen Selbstverlust. Denn der Moment überdauert niemals sich selbst, sondern stellt lediglich ein Durchgangsstadium dar, in dem sich das Ich erneut aufgeben muss und sich selbst verliert. Vor diesem Hintergrund kann das Verhältnis des Schreibenden (und im übrigen auch Lesenden) zur Sprache als ein existentielles und beinahe schon lebensnotwendiges bezeichnet werden. Die Sprache gibt dem Subjekt Unterschlupf, indem es darin seinen Ausdruck findet und Imaginationsräume besetzen und eröffnen kann. Doch bietet auch dieser letzte Rückzugsort im Endeffekt keinen letztgültigen Schutz und stellt gerade keinen Ruhepol dar. Die Sprache besitzt ein Eigenleben und entwickelt eine Dynamik, die sich dem einzelnen ästhetisch sich entfaltenden Ich entzieht und in dessen Sog es sich im Moment seines Aufflackerns wieder verliert.
Sinn-Verschleifungen in der Auflösung
Dies unterstreicht letztlich die Eigenständigkeit und Prozessualität eines Textes, worin dem Ich des Autors nur in seiner Abwesenheit noch Platz eingeräumt werden kann – in den Zwischenräume quasi einer sich stets wandelnden Sprache nistet sich dieses ein. Der Text bleibt als seine Spur, die auf ihn verweist, in Form der Silhouette oder eines Negativs auf ihn zeigt, ohne ihn jedoch jemals einfassen zu können. Was als Be-Schreibung beginnt, verliert sich stets in An- bzw. Umschreibungen, die niemals das fassen können, was sie aufzuzeigen versuchen: den dynamischen Bewusstseinstrom eines letztlich namenlosen Ichs. Und so dekomponiert sich jede auktoriale Instanz selbst innerhalb und zugunsten eines Textgewebes, in dem es versucht seiner selbst gewiss zu werden: exzessiv und obsessiv und stets expressiv – sich gerade erst durch seine Auflösung konstituierend, um sich wieder zu entziehen. Was bleibt (und das zeigt sich ganz stark in Robert Walsers Schriften) sind sich stets verschiebende, beinahe schon amorphe Differenzen und Vollzüge. Diesen entspricht ein vielgestaltig und prismenhaft sich auffächernder Abdruck in der Spur und den Sinnlinien eines Textes, die letztlich gerade in ihrer vermeintlichen Einheit auf eine Vielfalt des Ichs verweisen. Und so tritt das Selbst und mit ihm letztlich der Autor nurmehr in seiner Auflösung zutage, wenn er im Vollzug der Schrift in dieser vollkommen aufgeht – in einem Zustand der Dämmerung, in deren diffusem Licht die Schattenspiele der Schrift zu sprechen beginnen. In einer mit nichts zu vergleichenden, jedoch für ihn selbst bezeichnenden Affinität gegenüber seiner eigenen Auflösung und Dekonstruktion im Akt des Schreibens, hat Robert Walser seine Ichentwürfe skizziert, in denen er sich letztlich selbst entzieht zugunsten des Vollzugs des konkreten Textes und einer immer dynamisch sich fortschreibenden Schrift als einer puren, reinen und ekstatischen Erfahrung.
Literatur zum Thema
Robert Walser. Der Spaziergang. Suhrkamp Verlag. 2011.
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