Reflexionen zur materiellen Kultur
Es scheint angebracht in einer Zeit, in der materielle Werte über den Menschen und sein Bewusstsein zu herrschen scheinen, einen Ausflug in den kulturphilosophischen Zweig der „Materiellen Kultur“ zu wagen. Wie bestimmen Dinge als konkrete Aktanten unser Tun und Werden, unser Sein und Bewusstsein? Das Folgende indessen als der Versuch zu lesen, in einer Gegenüberstellung von Dingen und Bewusstsein eine Beziehung herauszuarbeiten, die unser Verhältnis spiegelt, in das wir zu den Dingen treten, die uns umgeben.
Christoph Schmassmann
Wie soll das nun genau zu verstehen sein? Versuchen wir den Einstieg über den Zugang, der die Dinge in der Abhängigkeit unseres Denkens und Bewusstseins sieht. Schliesslich muss aber dieses Verhältnis genau umgekehrt gedacht werden, um den Weg zu ebnen, für Reflexionen zu dem konkreten Wechselverhältnis, in dem die uns umgebenden Dinge und unser Bewusstsein stehen.
Ohne Bewusstsein keine Dinge
„Anders als Relate unserer Aktivitäten kognitiver oder praktischer Art können Dinge nicht vorkommen.“ Dieses Zitat stammt aus der Studie von Hartmut Böhme „Fetischismus und Kultur“, in der er die korrupte Beziehung herausarbeitet, in die wir zu den Dingen treten – und es zeigt sich, was zunächst als der pervertierte Sonderfall erscheint, konkret als der alles bestimmende Mechansimus gelesen werden kann, der die materielle Kultur von innen her steuert. Wie bereits antizipiert – soll, um den Einstieg zu finden, zunächst von der ganz basalen Annahme ausgegangen werden, dass es ohne Bewusstsein keine Dinge gibt. So stellt sich auch bei der Auseinandersetzung mit den Dingen und dem wechselseitigen Verhältnis, das wir zu ihnen einnehmen, die Frage, wann Dinge in dieser Welt auftraten. Man kann davon ausgehen, dass dies in einem engen Zusammenhang mit der Ausbildung eines differenzierten und differenzierenden Bewusstseins steht. Sie verdanken ihr Erscheinen, ihr Dasein den intentionalen Akten und der schöpferischen Erfindung durch den Menschen, was mit jenem evolutionären Schub einhergeht, der es dem Menschen ermöglichte über sich selbst und das ihn Umgebende zu reflektieren. Erst an diesem Punkt kann er in ein Verhältnis zu diesem treten, was ihm erlaubte, die Welt nach seinen Vorstellungen zu gestalten. In jenem Zeitraum traten die ersten Dinge in die Welt der Menschen ein. Das Ding als etwas, das eine Funktion erfüllt, entsteht. Diese Überlegung ist insofern wichtig, als dass Dinge nicht per se in der Welt vorhanden sind, sondern erst mit dem Auftreten des Menschen als ein mit Identität und Selbstbewusstsein ausgestattetes Wesen in sie hineingebracht wurden. Der Mensch ihr Schöpfer steht mit jener Zäsur, jenem Einschnitt, der den Einbruch der Dinge in die Welt bedeutet, nicht mehr allein einer Natur, sondern in dem Umfang, in dem die Dinge die Welt zu besetzen begangen, auch so etwas wie Kultur gegenüber, einer hergestellten Welt also, über die er Zugang zu seiner Wirklichkeit nahm, zu der er sich zu verhalten gezwungen war. Sie sind also schon immer Teil des Bewusstseins und bedingen dieses – machen es in gewissem Sinne aus. Denn es stellt sich die Frage, ob ohne Dinge, auf die das Bewusstsein trifft, an denen es in einem gewissen Sinne auf seine Grenzen stösst und an denen es sich abarbeiten kann und sich dementsprechend ausbildet, ein Bewusstsein überhaupt entstehen kann. Somit stellt sich im Gegenzug die Frage, ob kognitive und praktische Aktivitäten ohne konkrete materielle Dinge überhaupt möglich sind.
Ohne Dinge kein Bewusstsein
Wenn man nun den Menschen in diesem Sinne als eine Spezies versteht, die wenn auch nicht von Beginn an – so doch mit dem einsetzen einer Kulturgeschichte, die zeitlich in das erste Erscheinen der Dinge fällt, so etwas wie Selbstbewusstsein und Identität ausgebildet hat, so muss man zugestehen, dass diese stets prekär und instabil sind. Es sind die Dinge, die in dieser Beziehung Halt bieten, die nicht nur hilfreich, sondern in gewisser Weise auch notwendig sind, menschliches Leben, Identität und Selbst zu verdichten und zu verstetigen. Man kann sich dies verdeutlichen, wenn man im Zuge eines Gedankenexperiment von einer Welt ausgeht, in der keine Dinge vorkommen. Ohne Dinge ausserhalb von uns würde das Selbst zerflattern, ohne Widerstand zerfliesst es ins Unendliche, es wäre grenzenlos und darum nichtig. Die Dinge stellen gewissermassen den Widerstand dar, auf den das Bewusstsein trifft, anhand derer und dem Halt, welcher diese bieten, sich ein Selbst allererst ausbilden kann. Das Bewusstsein bedarf als seiner eigenen Voraussetzung eines univers du contre. Dies lässt sich auch verdeutlichen, wenn man sich auf die konkrete Handlungsebene begibt. Dinge als Bedingung, Instrument oder Ziel unseres Handelns, das wir uns subjektiv zuschreiben, sind hierfür nicht nur zufälliger Stoff, sondern notwendig und konstitutiv. Im Verlauf unserer kindlichen Sozialisation entwickeln sich, wie Jean Piaget gezeigt hat, generalisierte Schemata von Handlungen und Objekten und erst in diesem Zuge bildet sich ein konturiertes Bild oder Schema des Ichs heraus. Es bedarf also einer Auseinandersetzung mit der realen Welt, d.i. den Dingen, einer Abarbeitung an ihnen, um eine konkretes Selbst, eine Identität zu entwickeln. Es kann hier zunächst einmal festgehalten werden, dass Selbst-Bewusstsein und Identität somit in einem Wechselverhältnis zu der Entstehung von Dingen stehen.
Exkurs in die Phänomenologie
Die Phänomenologie im Sinne von Edmund Husserl stellt jenes Gedankenexperiment dar, das sich aller Dinge entledigt. Dieses stellt sie an den Anfang ihrer Philosophie, um als letzte und einzige Gewissheit den Geist im Sinne eines cogito zu setzen. Sie geht dabei von einer Einheit dieses cogito oder Selbst-Bewusstseins aus. Doch was wäre dies anderes als eine absolute Leere. Erst durch die Dinge und deren vitale und aktive Synthese kommt es zu einem Inhalt, zu einem Ich-Gefüge, das sich ausbilden kann. Eine in wörtlichem Sinne unbedingte Freiheit des Geistes wäre nicht nur leer, sie wäre gar nicht, löste sich auf in der Unendlichkeit. So ordnen und stabilisieren die Dinge auf mittelbare wie unmittelbare Weise den Geist bzw. das Bewusstsein und somit gehört die Geschichte der Dinge konstitutiv zu dem, was man in einer idealistischen Kulturgeschichte im Sinne der Phänomenologie, die das Bewusstsein unabhängig von den Substanz setzt, als eine Selbsterzeugungsgeschichte des Menschen nennen würde. Maurice Merleau-Pontys phänomenologischer Ansatz bricht deshalb radikal mit dieser Konzeption von Husserls Phänomenologie. Nicht das Selbst geht den Dingen vor, sondern die Dinge gehen dem Selbst voraus und geben es in diesem Sinne vor. Dem cogito, auf das man in der cartesianischen Meditation, die Husserl nachvollzieht, zurückkommt, muss ein Selbst vorausgehen, das von sich entfremdet oder ek-statisch im Sein lebt, das mit und in den Dingen ist. Das ist philosophisch jene Achsendrehung, die von einem mentalistischen zu einem materialistischen Ansatz übergeht. Das bedeutet aber auch, dass das Ding per se da ist, dass es nicht in Abhängigkeit zu einem es verwirklichenden Selbst steht, einem Bewusstsein, das es schafft. Es wird zum opaken Gegenstand, der beziehungslos im Raum steht unabhängig von einem es erschaffenden Bewusstsein. Es bleibt also in diesem Sinne zu fragen, ob Ding und Ich sich nicht wechselseitig ausmachen und sich zu ihrer jeweiligen Konstitution brauchen. Die „ebenso vertraute wie befremdliche Ineinandergeschobenheit von Ich und Ding“, wie es Hartmus Böhme in seiner Studie herausarbeitet, gilt es dabei zu fokussieren. In der Folge wird genau auf diese abzuheben sein.
Das Wechselverhältnis von Dingen und Bewusstsein
Die in dem kurzen phänomenalogischen Exkurs vorgenommene Achsendrehung soll in diesem Zuge sich gerade nicht in einem einfachen Entweder-Oder versteifen, sondern gerade als ein dynamischer Prozess eines Sowohl-Als-Auch aufgefasst werden, als eine Form der Wechselwirkung und Verflechtung, die von den beiden Polen des Bewusstseins und den Dingen ausgeht. So gehen etwa die sensomotorischen Schemata Piagets, einmal erworben, den erst zu diesem Zeitpunkt intendierbaren Handlungen oder Objekten voraus, doch nicht im Sinne einer ahistorischen, statischen oder unbedingten Zustandsform, sondern als erst in der Auseinandersetzung mit den Dingen erworbene Struktur, die sich unter der Bedingung neuer Erfahrungen modifiziert und nur so auch verändern kann. An diesem Entwicklungsprozess (der auch im Sinne Piagets eine evolutionäre Entwicklung von perzeptiven über sensomotorische zu konkret operationalen bis hin zu formalen Schemata oder Konzepten beschreibt) lässt sich die Verschränkung der beiden Pole ablesen. So kann beispielsweise in diesem Prozess ein Stein im Verlaufe der Ausbildung eines Ichs zu einem Ding werden, der gerade jene Formung des Ichs auch strukturell allererst ermöglicht. Was sich hier als eine diachrone Entwicklung (in der sich einerseits ein Bewusstsein ausbildet, andererseits das Ding hervorgebracht wird) darstellt, verweist schliesslich auf eine synchrones Verhalten der beiden zueinander. In diesem Sinne kann man Dinge im Sinne dieser Verflechtung auch als Verhaltensweisen, als Handlung oder wenigstens als materialisierte Übersetzung des Handlungsprozesses auffassen. Dinge sind dabei weniger die Medien der jeweiligen durch sie vollzogenen Handlung, als ein sedimentierter Vollzug selbst. Dies lässt sich besonders an Gebrauchsdingen leicht darlegen, wenn man sie im Zuge einer Erweiterung des Ichs auf die es bestimmenden Gegenstände betrachtet. So werden die Wohnung, das Auto oder etwa die Kleidung zum expressiven environment von Personen und sprechen ihre Sprache im sozialkommunikativen Netz, in dem diese sich bewegen, und sind somit konstitutiv für die Ich-Bildung, das sich in diesem Netz ausbildet. Dies lässt sich natürlich auch umdrehen: Die Dinge performieren das Ich: jene sind seine konkrete Gegenständlichkeit wie umgekehrt die Dinge das Ich verkörpern, indem es sich im Zuge einer Auslagerung in ihnen sedimentiert und so auch in absentia in ihnen kommuniziert – wie etwa, wenn man zum ersten mal eine fremde Wohnung betritt. Wie die Dinge durch das Ich zu sprechen beginnen, so spricht in diesem Fall das Ich durch die Dinge. Sie sind nicht nur passive Gefässe für die Aufnahme von Ich-Expressionen, sondern auch Speicher und performative Organe ebendieses Ich. Sie bilden das materielle Futteral des Ich, seine sensible Draperie, aus welcher der Körper als Träger hinausschlüpfen kann, ohne dass dabei das Ich verloren ginge.
In-Sein im Aussen
So kann von einem In-Sein der Dinge (im Ich) und von einem Ausser-Sich-Sein des Ichs (in den Dingen) ausgegangen werden. Die Dinge verkörpern sich so in einem Prozess der Besetzung durch das Ich in uns, während auf der anderen Seite sich der Mensch erst in den Dingen vergegenständlichen muss, um zu sich in ein Verhältnis treten zu können und sich reflexiv zu betrachten. Dies ist die Realität des Lebens mit den Dingen, die Kultur begründen – der sie quasi zugrunde liegt. So sind Dinge im Sinne der „Materiellen Kultur“ auch eigenaktive Antworten auf uns, die es zu befragen gilt, wenn man sich mit dem Menschen und seiner Kultur beschäftigt. Mitunter wie sich unser Verhältnis zu den Dingen ausnimmt oder welchen Platz wir ihnen in der Gesellschaft einräumen und wie sie als nur scheinbar tote Materie in einen konkreten Subjekt-Status treten können. Die Dekonstruktion des klassischen Dingbegriffs scheint hier massgebend für ein weiteres Verhalten in und zu den Dingen, die nicht einfach per se geschaffen werden, sondern konkret erschaffen und an der Formung eines Ichs – seiner Identität, die Unteilbarkeit impliziert – und der Ausbildung eines Bewusstseins teil haben. Gerade die Aufhebung der Grenzen von Innen (einem In-Sein der Dinge im Ich) und seinem Aussen (einem Ausser-Sich-Sein in den Dingen) ist somit zentral und kann als eine vorläufige Erkenntnis fixiert werden.
Literatur zum Thema:
Hartmut Böhme. Fetischismus und Kultur – Eine andere Theorie der Moderne. Rowohlt. 2006.
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