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Sprache und Gewalt – zweites Fraktal

Friedrich Nietzsche & die Gewalt der Tropen



Eine Lektüre von Nietzsches Aufsatz „Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“ gibt bezüglich Nietzsches Auffassung des Verhältnisses von Subjekt, Wirklichkeit und Sprache besonderen Aufschluss: Für Nietzsche gibt es letztlich nur nicht-identische Relationalität, Perspektive und Pluralität: die Zeichen-Welt und „ewige Horizonte“. „ (…) nein gerade Thatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen.“ Für Nietzsche ist die innere Struktur der Wirklichkeit ein nicht-identisches Relationsgefüge. Die Welt besteht nach ihm aus einem Ensemble von vielen Einmischungen, Hineindichtungen – die wir nichtsdestotrotz für wahr nehmen.

 

Christoph Schmassmann


Das ist und bleibt letztlich eines unserer gurndlegendsten Dilemmata „Was ist Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropo-morphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen und geschmückt wurden (…).“ Nietzsche verwirft die Prämisse eines nicht verfälschenden sprachlichen Ausdrucks und begreift letzteren als Substitut, aber als ein originäres, dem kein eigentlicher Ausdruck vorausgeht. Er spricht von einem „Residium der Metapher“, in dessen Wirkungsbereich auch, und nur in diesem, Wahrheit zu denken ist.

 

Tropen und Sprachfiguren

Sich über den Begriff, den sich Nietzsche von Sprachfiguren macht, Klarheit zu verschaffen scheint an dieser Stelle der nächste Schritt: Wie es in der oben angeführten Stelle anklingt, sind für den Zusammenhang des Textes die Tropen – die uneigentlichen Bezeichnungen – von Belang: Nietzsche bezeichnet einen „Prozess der Verwechslung“ als grundlegend für unsere Sinneswahrnehmung und unsere Erkenntnis. Über Ähnlichkeiten identifizieren wir verschiedene Sinneseindrücke als demselben Phänomen zugehörig, als dieselbe Erscheinung. Den Vorgang der Identifikation von Ähnlichem mit Ähnlichem bezeichnet er als Tropus – also uneigentliche Sprachfigur, wobei in seinen Aufzeichnungen die synekdocheischen, die metonymischen und die metaphorischen Wendungen in der Sprache berücksichtigt werden. Es scheint also angezeigt über den Prozess dem Gebrauch der Ausdrücke, und den Begriff der von ihnen gemacht wird, zu folgen.

 

Übertragungen

Es klingt also beispielsweise in der Synekdoche ein Horizont an, in dem etwas zugleich oder zusammen aufgefasst, verstanden oder angenommen wird. Die rhetorische Figur besteht darin dass durch das Nennen eines einzelnen Gegenstandes oder Teiles das Ganze und Allgemeine oder umgekehrt durch das Ganze der Teil bezeichnet wird. Hier kann nun der Grenzbereich, das Aufbrechen der Grenze zwischen Konkretem und Abstraktem, dem Besonderen und dem Allgemeinen, in dessen Prozess das eine auf das andere verweist, als das produktive mitunter konstruktive Potential jener rhetorischen Figur verstanden werden. Alles Denken innerhalb von Sprache wird unter diesem Gesichtspunkt Perspektive. Die Metapher als zweites schliesslich bezeichnet den Gebrauch von Worten in übertragenem Sinne. Wie Nietzsche das Wort verwendet, worin er die Übertragung sieht, die er in der Sprache und somit – in der sprachlichen Abhängigkeit unseres Denkens – in demselben erblickt, lässt sich an dem springenden Punkt erkennen, dass letztlich die Sprache von einer durchgehenden Metaphorizität geprägt ist, somit die gesamte Sprache als ein beständiger Prozess von Übertragungen funktioniert.

 

Rückschlüsse & Kurzschlüsse

Letztlich klingt im oben entwickelten Primat des Zeichenträgers vor der Eigentlichkeit der Verweisstruktur der Begriffe (auf das, was er – der Zeichenträger – verweist), eine Öffnung der Perspektive an. Dies kann nun als der eigentliche der Sprache zugrundeliegende Prozess aufgefasst werden. In steter Verweisung innerhalb ihrer Struktur eröffnen sich neue Sinnräume. Dadurch dass sämtliche Sprache metaphorisch zu denken ist und so nach der Form von Übertragungen funktioniert, kristallisieren sich aus diesem Prozess stets neue Sinnsysteme aus, um sich in neue Bewegungen wieder aufzulösen und sich fortzusetzen als Impulsgeber für neue Konstellationen. Auch an dieser Stelle eröffnet das zunächst gewaltsame Moment der Sprache ihren dekonstruktiven Charakter, indem im Moment der permanenten Destruktion immer auch ein Moment der Konstruktion mitspielt. Nietzsche führt somit das begriffliche Denken und die Sprache zurück in die Relativität. Unter der Metonymie versteht man (als Drittes im Bunde der Tropen) die Vertauschung des eigentlichen, resp. allgemeinen Begriffes mit solchen die notwendig oder zufällig mit ihm verbunden sind. Aus dieser Bedeutung von Metonymie entwickelt Nietzsche in den Aufzeichnungen zu „Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“ eine Kritik an den Grundstrukturen des begrifflichen Denkens. Die Dinge werden immer nur als Wirkungen auf unsere Sinne erfahren (was im Sinne einer ersten Relationalität erfasst werden kann) was dann wiederum in einem zweiten Akt der Übertragung in Begriffe gefasst wird (im Sinne einer zweiten Relationalität.) Nun kann schliesslich das Verhältnis von Sprache in sich selbst als relational gedacht werden. Begriffe bedeuten immer nur im Kontext und in Abgrenzung zu anderen Begriffen. Es erscheint als letzter sich herauskristallisierender Begriff die Relationalität.


 

Perspektiven & Relationen

Zusammenfassend ist Sprache (und somit das Denken und Erkennen) immer perspektivisch, relativ und relational zu verstehen. Innerhalb dieses Systems kommt es zu winzigen Verschiebungen in der Begriffsbildung (dem Verständnis und der Auffassung), was wie in einem Kaleidoskop zu neuen Sinnsystemen führt. Sprache ist in diesem Verständnis der Sache immer höchst produktiv. Der Blick ist zurückzurichten auf Nietzsches konkrete Ausführungen in „Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“, wie sie gegen Ende der Abhandlung entwickelt werden. „Jener Trieb zur Metaphernbildung, jener Fundamentaltrieb des Menschen, den man keinen Augenblick wegrechnen darf, weil man damit den Menschen selbst wegrechnen würde, ist dadurch, dass aus seinen verflüchtigten Erzeugnissen, den Begriffen, eine reguläre und starre neue Welt als eine Zwingburg für ihn gebaut wird, in Wahrheit nicht bezwungen und kaum gebändigt.“ An dieser Stelle klingt etwas ganz entscheidendes an. Und tatsächlich als kaum bändigbar erweist sich letztlich gerade das sinnstiftende Potential das in der Sprache spielt. Der Mensch und mit ihm seine Sprache befinden sich in einem steten Fluss der Verschiebungen und Verdichtungen. Es organisiert sich das System der Sprache prozesshaft.

 

Krea(k)tive Momente

„Er (der Mensch) sucht sich ein neues Bereich seines Wirkens und ein anderes Flussbett und findet es im Mythus und überhaupt in der Kunst. Fortwährend verwirrt er die Rubriken und Zellen der Begriffe dadurch, dass er neue Übertragungen, Metaphern, Metonymien hinstellt, fortwährend zeigt er die Begierde, die vorhandene Welt des Wachen Menschen so bunt unregelmässig, folgenlos unzusammenhängend, reizvoll und ewig neu zu gestalten, wie es die Welt des Traumes ist.“ Das Zertrümmern von  den „alten Begriffsschranken“ wird somit als ein Freisetzen der in der Grenze sich ladenden Energien. Es kann abschliessend davon gesprochen werden, dass sich ebenso wie im Falle der sich überlagernden und überlappenden Diskurse, die ineinander überblenden, in den Zwischenräumen einer fragmentierten (d.i. in dieser Weise zertrümmerten) Sprache der Tropen sich neue Sinnpotentiale eröffnen. Das Zwischen wird somit auch in diesem Falle zur bevorzugten Kategorie, wo sich der eigentliche Prozess in Bewegung setzt.

 

Literatur zum Thema:

Friedrich Nietzsche. Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. Kritische Studienausgabe 1873.

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