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Über das Wesen der menschlichen Freiheit

Kleiner Exkurs in Gedankensprüngen




Christoph Schmassmann


Die menschliche Freiheit ist und bleibt ein viel diskutierter Begriff. Was man darunter versteht und wie man dessen Auffassung in unterschiedlichen Ausprägungen und Ansätzen gewichtet, trägt im Wesentlichen zur Weltsicht einer sozialen Gemeinschaft bei. So scheint es in einer Zeit, in der man sich diese Frage erneut zu stellen gezwungen sieht, angebracht ein klein wenig auszuholen und den Begriff der Freiheit – wenn sie denn einer ist – genauer zu befragen.


In einem Essay denkt F.W.J. Schelling zurzeit des Deutschen Idealismus noch vor dessen Übervater und prägendster Geist Hegel unter dem Titel „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und damit zusammenhängende Gegenstände“ über das Phänomen äusserst präzise und konsequenterweise in fragmentarischer Form nach. So schreibt er:

„Oder ist dies die Meinung, dem Begriff von Freiheit widerstreite der Begriff von System überhaupt und an sich: so ist sonderbar, dass, da die individuelle Freiheit doch auf irgendeine Weise mit dem Weltganzen (gleichviel, ob es realistisch oder idealistisch gedacht werde) zusammenhängt, irgendein System, wenigstens im göttlichen Verstande, vorhanden sein muss, mit dem die Freiheit zusammen besteht.“

Man kann sich heute im Zuge des materialistischen Weltbildes dazu entscheiden, den Terminus des „göttlichen Verstandes“ als eine Metapher für etwas Allumfassendes zu lesen, etwas, in dem alles enthalten ist und auf das jegliches Denken, das den Anspruch auf Absolutheit in diesem Sinne beansprucht, Bezug nehmen muss. Doch gerade um die Freiheit in ihrer nicht absoluten, sondern relativen oder relationalen Form scheint es Schelling in der Folge zu gehen. Nichts bleibt auf diese nicht beziehbar, auch nicht das Gefühl von Freiheit, wie es Schelling bei den Realisten und Idealisten an den Rand gedrängt in der Auflösung begriffen sieht. Und so setzt er umgekehrt gerade dieses in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, von ihm geht er aus, die mit dem Begriff der Freiheit verknüpfte Emotion scheint ihm das zentrale Moment zu sein, nach dem sich alles weitere aufschlüsseln lässt.


Emotion vs Ratio

In welcher Hinsicht nun: Keine Philosophie kann von sich aus den Anspruch auf Ganzheit geltend machen, ohne der urtümlichsten der menschlichen Regungen, dem Gefühl, Rechnung zu tragen und es dem Verstande in welcher Form auch immer zuzuordnen, es in eine Beziehung zu ihm zu setzen. Es ist schliesslich in seiner Sicht der wesentliche Auslöser für die Verstandesleistungen. Am Anfang aller Gedanken steht eine Emotion, die es als erstes zu begreifen gilt, ohne diese gänzlich zu überwinden. Denn gerade dem emotionalen Impuls von Freiheit, wenn man so will, muss der Denker mit seiner Verstandesleistung Rechnung tragen – ihm schuldet er alles. Doch geht es Schelling gerade nicht darum, jenes Gefühl zu kontrollieren und zu rationalisieren. Es muss in seiner unverständlichen Urtümlichkeit bestehen bleiben, um von neuem zu weiteren Überlegungen und Schlüssen anzuregen. Dies wäre soweit der Kern von Schellings Philosophie.


Der Teil als Ganzes … das Ganze in Teilen

Dies kann unter gewissen Umständen und den geeigneten Vorzeichen nun dazu dienen, die herrschenden Hierarchien und Begriffe von Freiheit zu destabilisieren. Genauer gesagt, nur unter den von Schelling vorskizzierten Prämissen kann sie diese Wirkung nun entfalten. Wie geht dies vor sich? Das System als ganzheitliches lässt sich nicht als etwas Einheitliches begreifen, wie dies Hegel als Letzter seiner Zeit noch versucht. Es ist vielmehr das Ganze in Teilen (blieb doch Schellings Werk in den grössten Zügen fragmentarisch), welches durch das Wissen eines allem übergeordneten Systems stets zu neuen Überlegungen und Verknüpfungen Anlass bietet, ohne jedoch jemals als Ganzes erfasst werden zu können. (Wahrscheinlich wäre das in Schellings Augen ein blasphemischer Akt).

Das Ganze, erfasst in seinen Teilen, erweist sich von der rein methodischen Auffassung her als einiges tauglicher, das Phänomen der Freiheit zu erfassen, als der immer nur ein Teil bleibende Zugang, der sich als absolutes Ganzes präsentiert, wie dies Hegels hermetisches System des Idealismus auf dem Gipfel seiner einstigen Grösse zu denken versuchte und postulierte. Denn nach Schelling wiederum bleibt die Freiheit in seiner sich immer neu auszudifferenzierenden und sich den fraglichen Gegenständen anschmiegbaren Methodik flexibler und dynamischer als dies ein in sich abgeschlossenes, mitunter absolutes System kann. Erst in seiner eigenen Öffnung – wider den Systemzwang – erweist sich Schellings Ansatz das Ganze in Teilen zu denken, von bahnbrechender wie zukunftsweisender Potenz.


Fragment und System

Haben wir uns auch im bisher dargelegten Abschnitt ein wenig auf den Boden der sehr breit angelegten Interpretationsversuche, wenn nicht philosophischen Spekulationen begeben, so gilt es nun doch anzufügen, dass gerade Schellings Herangehensweise an die Rätsel des Daseins und des menschlichen Seins und Handelns an sich von einer grossen Hochachtung der Natur und der Kultur und deren jeweiligen (aus seiner Sicht noch göttlichen?) ursprünglichen Herkunft gegenüber zeugt, als dies bei manchen Philosophen der Fall ist, die sich anmassen das Ganze nicht nur erkannt, sondern auch im Ganzen erfasst zu haben glauben. Gerade diese die Hierarchien allererst begründenden Absolutheit gilt es mit Vorsicht zu geniessen – vielmehr dem System des Absoluten mit einem System aus Fragmenten zu begegnen. Denn dort liegt Freiheit verborgen – in ihrem ganzen subversiven Potential.

Schellings gesamtes philosophisches Werk ist in Fragmenten gehalten und wenn man sich da auf die Suche begibt, lässt sich daran (vielleicht) auch der Begriff der menschlichen Freiheit näher fassen. Der folgende Versuch soll dies leisten. Denn was stellt ein Fragment in seiner Form, genannt Bruchstück, an sich dar? Etwas Unfertiges, nicht Ganzes, etwas in dem die ganzen Möglichkeiten seiner jeweiligen frei sich entfaltenden Realisationen noch schlummern – von der einen Seite her betrachtet zumindest, sozusagen worauf zu und wohin gefragt. Oder aber ein aus einem Ganzen rausgehauener Teil – welcher rezeptionsästhetisch gesehen die Frage in sich trägt, woher und von was aus. Und man hört bereits die Philosophie des Poststrukturalismus unter Foucault und Derrida anklingen, wenn hier im weiteren dieser Ansatz leitend werden wird.


Verstehen als Freiheit

Und da gibt es bezogen auf die menschliche Freiheit gefragt von dem jeweiligen Interpretationszusammenhang aus etwas, das genau nach diesen Gesichtspunkten zu funktionieren pflegt. Es nennt sich produktive Rezeption oder auch rezeptive Produktion in der je eigenen Kreation von subjektiven Verstehen, Auslegen und Deuten. In ihr liegt die Freiheit des jeweiligen Rezipienten. Dem Erleben, Aneignen und Erfahren der Welt in der Form von denkendem Lenken im gelenkten Denken, welches es hier in einem nächsten Schritt zu transzendieren gilt. Denn schliesslich muss man nun an dieser Stelle gerade von struktureller Gewalt bezogen auf die darin vollzogene Freiheit in der Gestaltwerdung eines jeden gedachten Gedankens zu sprechen kommen: denn will ich nun also das, was ich konkret als Freiheit erlebe und fühle, abstrakt beschreiben und fassbar machen, entehre ich es und kleide in seiner Einmaligkeit etwas unfassbar Zauberhaftes, beinahe schon Magisches in ein paar schale Worte, die es (das Unfassbare per se) doch niemals einfangen können. Julia Kristeva definierte hierfür den Raum der Chora – den (mütterlich konnotierten, empfangenden) Unterbau der Sprache. Denn eingewoben in alle Sprache lebt das Unsagbare, Mystische, seine Polyphonie und Uneindeutigkeit weiter in ihr und transzendiert sie, womit wir uns auf dem Feld der para-verbalen, unbewussten Sphären befinden, mitunter dem kollektiven Unbewussten. Dort vollzieht sich Freiheit, in der wechselseitigen freien Entfaltung des Sag- wie Unsagbaren, die einander konterkarieren und in ihrem Zusammenspiel ein Verstehen auch von Freiheit, deren näherer Auffassung und Form gewissermassen allererst ermöglichen.


Reales vs Imaginäres

Hier gilt es schliesslich Lacan als den Vater des französischen Poststrukturalismus zu bemühen, der in Anlehnung an Freud die menschliche Freiheit über das Feld des Imaginäre bestimmte, das sich in jener berühmten Trias im Symbolischen mit dem Realen überkreuzt, sich paart und fruchtbar wird. Denn gerade im opaken Objekt kleinA als dem Realen, wie er es entworfen hat, kann die Freiheit des Verstehens und ja auch das Begehren niemals stattfinden, zu seiner Erfüllung finden. Und so vollzieht sich allererst in der Überkreuzung von den Sphären des Imaginären mit dem nie fassbaren Realen im Körper des Symbolischen, einem Textkörper – wenn man so will, ein möglicher Freiheitsbegriff, der aber so weder fixier- noch fassbar bleibt. Ähnlich wie bei Schelling gelagert, aber mit anderen Vorzeichen versehen entfaltet sich Freiheit in der Sphäre des Imaginären, wo die Emotion, der Traum, kurz: das Irreale regieren.

Womit wir schliesslich – wie damals Kant als der Urvater des Deutschen Idealismus in seiner Philosophie der Transzendenz – bei derselben angelangt wären. Was vorausgeht und folgt und übersteigt und in jedem Falle aber bleibt, ist das je subjektive Fühlen und Spüren, Erfahren und Erleben von Freiheit, wie bei Schelling vorskizziert, als der wesentliche Akt, der jeglichem theoretischen Impuls des objektiv fassbaren Realen vorausgeht. Und dieser bleibt auf ewig fluid, polymorph und unfassbar – und das eint uns des weiteren mit jedem lebenden (d.i. fühlenden) Wesen. Wir haben es nur zeitweilig zu ignorieren versucht, ohne es aber jemals ganz verdrängen oder vergessen zu können. So wird gerade das Gefühl der Freiheit als Widersetzung mitunter gegen den absoluten Systemzwang, für den einzelnen spür- und als je individuelle Befreiung wieder erlebbar.



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